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Der nicht erklärte Ausnahmezustand

 

Wie Berichte von Betroffenen später bestätigen, wird auf Anordnung von Generalbundesanwalt Rebmann bereits in der auf die Entführung folgenden Nacht mit der Zellendurchsuchung bei rund 80 Häftlingen und zugleich auch mit der Praktizierung der Kontaktsperre begonnen. Einen Tag später greift Bundesjustizminister Vogel diesen gravierenden Rechtsbruch auf und bittet seine Amtskollegen in den Bundesländern, "jegliche Kontakte inhaftierter Terroristen zur Außenwelt zu unterbinden, weil dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr geboten sei". Er beruft sich dabei auf den in § 34 des Strafgesetzbuches niedergelegten Rechtsgedanken des "rechtfertigenden Notstandes".

Doch nicht alle Landesjustizminister machen mit. Der Berliner Justizsenator Jürgen Baumann (FDP) weigert sich, dem Amtshilfeersuchen Folge zu leisten. Und auch eine Reihe von Richtern weist die Anordnungen der Länderjustizbehörden mit der Begründung zurück, sie seien rechtswidrig. Helmut Schmidt bezeichnet die Kontaktsperre, insbesondere die strikte Abschneidung der Häftlinge von ihren Anwälten, in einer am 15. September vor dem Bundestag abgegebenen Erklärung dagegen als "unabweisbare Notwendigkeit". Eine Beschwerde von sieben betroffenen Häftlingen wird am 23. September in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes zurückgewiesen. In der Begründung macht sich dieser die an der Durchsetzung der Staatsräson orientierte Rechtfertigung Vogels zu Eigen, indem er die Auffassung ins Zentrum rückt, dass das Grundgesetz nicht nur eine Schutzpflicht gegenüber Einzelnen, sondern auch gegenüber der "Gesamtheit aller Bürger" begründe. Dennoch sind sich Schmidt und Vogel der mangelnden Rechtsgrundlage für die Verbotspraxis von Verteidigerbesuchen offenbar bewusst und verfolgen deshalb das Ziel, die seit dem 6. September praktizierte Kontaktsperre nachträglich zu legalisieren.

Fünf Tage nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes beginnt der Rechtsausschuss des Bundestages mit Beratungen über ein Kontaktsperregesetz. Bereits einen Tag später verabschiedet das Parlament bei 17 Enthaltungen und vier Nein-Stimmen den Gesetzentwurf nach zweiter und dritter Lesung. Am 30. September wird das Gesetz vom Bundesrat angenommen, am selben Tag vom Bundespräsidenten unterzeichnet und am 1. Oktober im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, so dass es am 2. Oktober in Kraft treten kann. Während in der Regel viele Monate, manchmal sogar Jahre zwischen der Vorlage eines Gesetzentwurfs, seiner Verabschiedung und seinem Inkrafttreten liegen, dauert es in diesem Fall insgesamt nicht mehr als fünf Tage.

Doch nicht nur die Geschwindigkeit ist bemerkenswert, sondern auch die Art und Weise, wie das in einigen Zeitungen als »Blitzgesetz« apostrophierte Unternehmen durchgepeitscht wird. Als klar ist, dass sich einige wenige Bundestagsabgeordnete der SPD gegen die Verabschiedung aussprechen, versucht ihr Fraktionsvorsitzender Herbert Wehner auf rabiate Weise das herzustellen, was sich unter dem Ausdruck "Fraktionsdisziplin" eingebürgert hat. Er meint, dass zwar jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen zu gehorchen habe, dies jedoch dann nicht mehr gelten dürfe, wenn dadurch ein Gesetzesvorhaben gefährdet würde. Dennoch erklärt Manfred Coppik, der zusammen mit seinen Kollegen Karl-Heinz Hansen, Dieter Lattmann und Klaus Thüsing gegen das Kontaktsperregesetz stimmt, während der zweiten Lesung: "Die Aufgabe rechtsstaatlicher Grundprinzipien rettet kein Menschenleben, schafft aber Lebensverhältnisse, in denen die friedliche demokratische Entwicklung in einem Rechtsstaat gefährdet wird und damit weitere Menschenleben in Gefahr geraten."

Die Einwände gegen das Kontaktsperregesetz werden in einem Appell zusammengefasst, mit dem sich eine Gruppe von Rechtsanwälten, darunter mit Hans-Heinz Heldmann der Verteidiger Andreas Baaders, am 29. September an Bundespräsident Walter Scheel wendet und gegen die Verabschiedung protestiert. Es heißt darin:

"Diese Rechtskonstruktion (Außerkraftsetzung von Grundrechten durch Feststellung und Beschluss der Exekutive mit sofortiger Vollziehbarkeit) findet eine formale Entsprechung nur noch in den Gesetzen zur Regelung des Notstandes oder des Spannungsfalles; – das Gesetz sieht im Gegensatz zum geltenden Recht die kollektive Regelung des Haftstatus einer Gruppe von Gefangenen vor und nimmt damit Abschied von der grundlegenden Erfordernis einer Begründung im Einzelfall; – die Regelung stellt einen Einbruch der Exekutivgewalt in einen bisher allein der Justiz unterstellten Bereich dar; – der Entwurf stellt die Einführung eines Ausnahmerechts bezüglich der Haftbedingungen einer bestimmten Gruppe von Gefangenen dar; – ein solches Gesetz entspricht weder dem Grundgesetz noch den Menschenrechten."